Geistergeschichten schreiben: 7 Tipps von Horrorlegende M. R. James

Montague Rhodes James (1862-1936) ist der unbestrittene Meister der klassischen Geistergeschichte. Mit seinen Kurzgeschichten hat M. R. James das Gruselgenre zur Vollendung geführt. Horrorstorys wie „Die Esche“ und „Der Traktat Middoth“ werden immer wieder nachgedruckt und inspirieren noch heute Autoren, die Horror- oder Geistergeschichten schreiben.

Mit welchen Techniken hat M. R. James derart lebendige Geistergeschichten geschaffen? Das verrät er in dem Artikel „Gespenster – geht behutsam mit ihnen um!“ (Ghosts – Treat Them Gently!, Erstveröffentlichung 1931). Der Text ist abgedruckt in Montague Rhodes James: Sämtliche Geistergeschichten, Band 1, Festa-Verlag.

Geistergeschichten schreiben: 7 Tipps von M. R. James

1. Storyziel: Auch Gespenster haben Wünsche

Dramatisch wirksame Gespenster irrlichtern nicht einfach durch finstere Korridore. Wenn Du gute Geistergeschichten schreiben willst, solltest Du Deine Gespenster oder Monster mit einem konkreten Ziel und einer Hintergrundgeschichte ausstatten. 

Meistens wollen die Geister den Protagonisten einfach in Panik versetzen und auf diese Weise in Wahnsinn oder Tod treiben. Aber es gibt auch eine zweite Möglichkeit: Gespenster mit einer „Vergangenheit, die nach Erlösung schreit.“ Diese Geister sind oft nicht selbst das Monster, hinter ihnen lauert ein anderer Bösewicht.

Warum brauchen Geister ein Ziel? Weil sie nur so zu Handlungsträgern werden und den Plot vorantreiben.

2. Setting: Der Ort macht den Unterschied

Weil der Plot von Geistergeschichten nur auf den beiden genannten Bahnen verlaufen kann – der Geist als Angreifer und der Geist als erlösungsbedürftige Seele – haben Autoren von Geistergeschichten nur eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten. Umso wichtiger ist die Szenerie. Mit dem Ort der Handlung kannst Du Deine Story vom Spuk-Einerlei differenzieren.

M. R. James warnt ausdrücklich davor, verfallene Schlösser als Schauplatz zu wählen. Abgedroschen, kitschig, langweilig! Viel besser sind zeitgenössische, gewöhnliche Orte. Denn: „Je genauer der Leser das Umfeld einschätzen kann, desto besser.“

Das Unheimliche trägt nicht umsonst das „Heim“ im Namen, wie schon Sigmund Freud bemerkte.

3. Plot: Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Der Schauplatz muss bereits die ersten Schrecken andeuten – andeuten, nicht enthüllen. Das Gespenst macht sich erst nach und nach bemerkbar: „durch gewisse Vorgänge, die eine Atmosphäre des Unbehagens und der bösen Vorahnung schaffen. Man darf nicht gleich alle Geschütze des Horrors auffahren.“ Die Geistergeschichte ist ein Striptease, kein Quickie.

Generell sollte man allerdings auf „Horror und Heimtücke“ nicht verzichten, sondern vielmehr großzügig einsetzen. (Wie Du einen Grusel-Plot in drei Schritten entwickelst, erfährst du in Horror plotten: In drei Schritten zur spannenden Story.)

4. Zeitraum: Dich kenn’ ich doch!

Prinzipiell können Geister zu Beginn der Story schon seit Urzeiten tot sein. Doch je weiter ihr menschliches Dasein zurückliegt, desto härter ist es für den Autoren, sie „mit bestimmten Wirkungskräften auszustatten”. Es ist schwierig, den Bogen aus einer fernen Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen.

Das Leben des Geistes muss also in irgendeinem Zusammenhang mit aktuellen Geschehnissen stehen. Der Geist ist idealerweise ein Zeitgenosse derjenigen, die ihn wahrnehmen.

Zwar gibt es laut M. R. James in der Literatur gelungene Ausnahmen, doch die sind selten. Denn es erfordert wahre Meisterschaft, die Ereignisse aus zwei verschiedenen Zeitaltern nahtlos zu einer spannenden Gruselstory zu verknüpfen.

5. Skeptiker: Einer muss nüchtern bleiben

Als „Gegengewicht“ für das Übernatürliche braucht jede Gespenstergeschichte einen nüchtern denkenden Menschen, wie Horatio bei Hamlet. Noch in heutigen Splatterfilmen gibt es fast immer einen Skeptiker, der nicht an die Existenz des Axtmörders glauben will – und ihm bald zum Opfer fällt.

Außerdem können „laienhafte Beobachter“ eine wichtige Rolle als Freunde und Helfer spielen, wie Watson für Sherlock Holmes. Ein Watson-Charakter hat den Vorteil, dass er auf demselben Wissensstand ist wie der Leser und Erklärungen nötig hat. Auf diese Weise lassen sich Hintergrundinformationen elegant einflechten und die Lernkurve für das Publikum flacht deutlich ab.

6. Glaubwürdigkeit: Echte Geister, fiktive Geister

Wir hegen „von Geburt eine Liebe zum Übernatürlichen“ und erzählen uns in Abendstunden gern, welcher Spuk uns im echten Leben zugestoßen ist. Daraus können Autoren viel lernen, die Geistergeschichten schreiben.

Was macht Lagerfeuergeschichten glaubwürdig? Böse Vorzeichen, Familienlegenden und frühzeitige Warnungen, sagt M. R. James. Was noch? „Der Verfasser einer Gespenstergeschichte sollte stets den Ton eines Erzählers anschlagen, der das, was er vermittelt, tatsächlich für wahr hält.“ Wobei M. R. James selbst hin und wieder einen ironischen Tonfall anschlägt, wie er selbst zugibt.

Manchmal sollten sich Autoren auch in die „Niederungen des Unglaublichen“ begeben. Damit meint M. R. James jene Horrorgeschichten, in denen „Blut, Gerippe und in flatternde Gewänder gehüllte Geister“ eine wichtige Rolle spielen.

7. Lovecraft & Co.: Eine Schande für das ganze Genre

M. R. James fiel einmal ein Band der Anthologiereihe „Not at Night“ in die Hände. Darin waren Storys aus dem Pulp-Magazin Weird Tales abgedruckt, unter anderem von H. P. Lovecraft. Der Gelehrte war angewidert: Die „Geschichten sind unglaublich plump und wirr erzählt und suhlen sich geradezu im Dreck. Wenn es etwas gibt, das man aus Gespenstergeschichten unbedingt heraushalten sollte, dann sind es Leichenhäuser – und Sex.“

Lovecraft seinerseits bewunderte die Geschichten von M. R. James. In Das Übernatürliche Grauen in der Literatur nennt er M. R. James einen der vier „modernen Meister“ des Horrors, neben Arthur Machen, Algernon Blackwood und Lord Dunsany.

Die besten Autoren von Geistergeschichten nach M. R. James:

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© 2018 Storymonster

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4 Gedanken zu „Geistergeschichten schreiben: 7 Tipps von Horrorlegende M. R. James“

  1. Hi Andreas,
    deine Seite gefällt mir richtig gut! Du bietest sehr gute Lektüre für Horror-Autoren, deswegen habe ich deine Seite gleich mal in meinem neuen Blogbeitrag verlinkt, wo ich 50 Tipps zum Schreiben einer Horror-Geschichte gebe. Deine Seite ist eine super Ergänzung, wer sich noch tiefer in die Materie stürzen will =)

    Vielleicht hast du Lust, mal vorbeizuschauen. Du findest den Artikel unter: https://storyanalyse.de/horror/
    Würde mich freuen.

    Danke, Melanie

    Antworten
    • Hallo Melanie,
      danke Dir, das Lob gebe ich gerne zurück.
      Deine 50 Tipps geben Horrorautoren viele spannende Impulse.
      Liebe Grüße!

      Antworten
  2. Hallo Andreas!
    Deine Zeilen fand ich so gut. Habe gleich eine PowerPoint für meine Schüler draus gemacht. Ich hoffe, ihnen fällt es nun leichter, ihre Storys zu schreiben.
    Also danke!!!!
    Schaurige Grüße Gabi!

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