Wie erzielst Du mit Deiner Story den größtmöglichen emotionalen Effekt? Schreibst temporeich, ohne den Leser zu überfordern? Gestaltest Anfang, Mitte und Ende einer Szene spannend? Der Schlüssel ist die Scene-Sequel-Struktur, das vielleicht mächtigste Werkzeug für Autoren.
Was ist die Scene-Sequel-Struktur?
Die Scene-Sequel-Struktur („Scene Sequel Structure“) ist eine Schreibtechnik des Autors Dwight Swaine aus seinem Buch Techniques of the Selling Writer.
Verschiedene Schreibcoaches haben die Technik aufgenommen und weiterentwickelt, darunter Randy Ingermanson in Writing Fiction for Dummies und K. M. Weiland in Structuring your Novel.
Scene-Sequel-Struktur: Welche Arten von Szenen gibt es?
Heutige Romane bestehen in der Regel aus 50 bis 200 Szenen. Jede kann aus wenigen Sätzen oder aus dutzenden, wenn nicht hunderten Seiten zusammengesetzt sein.
Jede Szene ist selbst eine kleine Story mit Anfang, Mitte und Ende. In der letzten Zeile jeder Szene muss sich der Plot weiterentwickelt haben.
Laut Dwight Swain gibt es zwei Arten von Szenen: „Scenes“ und „Sequels“.
Manche halten die Begriffe „Scene“ und „Sequel“ für unglücklich gewählt, weil ein „Sequel“ ebenfalls eine „Szene“ ist. Sie sprechen darum von „proaktiven“ und „reaktiven“ Szenen.
Das geht aber an einem entscheidenden Punkt von Swain vorbei: Sequels sind (häufig) keine Szenen mit Einheit von Zeit, Ort und Handlung, sondern Bindeglieder zwischen Szenen, in denen viel Zeit vergehen kann und die an verschiedenen Orten spielen können.
Scene-Sequel-Struktur
- Scene / Proaktive Szene: Besteht aus Ziel, Konflikt und Rückschlag.
- Sequel / Reaktive Szene: Besteht aus Reaktion, Dilemma und Entscheidung.
Scene-Sequel-Struktur: Was ist eine Scene?
Die Scene ändert die Situation des Charakters. Änderung heißt nicht zwingend einen Fortschritt auf das Storyziel der Figur hin, beinhaltet aber immer einen Wandel.
In einer proaktiven Szene treibt der Fokus-Charakter die Handlung voran – also die Figur, die im Zentrum des Plots steht.
Sie ist meist identisch mit dem Point-of-View-Charakter, also der Figur, aus deren Blickwinkel Du die Handlung erzählst.
Scene-Sequel-Struktur: Momente einer Szene
1. Ziel
Am Anfang jeder Szene steht das Ziel des POV-Charakters. Laut Swain fallen Ziele immer in eine der drei folgenden Kategorien:
- Besitz: Frau/Mann, Job, Geldkoffer.
- Befreiung: Erpressung, Unterdrückung, Angst.
- Rache: für Kränkung, Verlust, Betrug.
Das Ziel sollte verschiedene Merkmale erfüllen:
- Einfach: Leser müssen das Ziel sofort verstehen, damit sie dem Verlauf der Szene folgen können. Das Ziel gibt die Stoßrichtung der Szene vor.
- Konkret: Es sollte klar sein, wie das Erreichen des Ziels konkret aussieht. So klar, dass man ein Foto davon machen könnte.
- Lohnenswert: Der Charakter muss über die Motivation verfügen, das Ziel zu erreichen. Es steht etwas für ihn auf dem Spiel.
- Realistisch: Spannung entsteht nur dann, wenn das Ziel tatsächlich erreicht werden kann.
- Schwierig: Allerdings darf es natürlich nicht zu einfach zu erreichen sein.
2. Konflikt
In der Mitte der Szene versucht der Charakter sein Ziel mehrmals zu erreichen, sieht sich dabei internen oder externen Widerständen gegenüber. Die Mitte ist der wichtigste Teil der Szene und macht meist mehr als 80 Prozent ihrer Länge aus.
Zeige keine Gnade: Lass den Charakter kämpfen, leiden, bluten. Das verstärkt die emotionale Bindung des Lesers. Der Konflikt ist dabei nicht statisch, als eine Patt-Situation der Kräfte. Sondern er entwickelt sich entlang einer Kette aus Erfolgen und Rückschlägen.
Mal ist der Held obenauf, mal der Gegenspieler. Aber irgendwann muss einer der beiden siegen, und das ist sehr wahrscheinlich der Gegenspieler. Mehr dazu im Blogartikel Die Szenenstruktur in Game of Thrones.
3. Rückschlag
Am Ende der Szene erleidet der Charakter einen Rückschlag. Meistens wird er sein Ziel ganz einfach nicht erreichen. Manchmal aber erreicht er sein Ziel – dann geht etwas anderes geht schief und er steckt tiefer im Schlamassel als zuvor. Hier greift das Prinzip „Ja, aber – Nein, und“.
Der Rückschlag ist ein „Hook“, häufig in Form eines Cliffhangers. Er wirft eine Frage auf, die den Leser fesselt. Hier genügt oft auch eine Andeutung statt einer tatsächlichen Aktion. Der Rückschlag ist der kürzeste Teil der Szene und umfasst manchmal nur den letzten Abschnitt oder sogar nur den letzten Satz.
Merkmale des Rückschlags
- Deutlich: Das Scheitern muss klar erkennbar sein.
- Konsistent: Der Rückschlag entsteht unmittelbar aus den Anstrengungen des Charakters.
- Niederschmetternd: Der Charakter sollte schlechter dastehen als zuvor.
- Unerwartet: Der Rückschlag überrascht, liegt aber im Rahmen des Möglichen.
Ein Sonderfall ist die Pro-Technik des „umgekehrten Rückschlags“: Die Dinge laufen für den Helden einfach zu gut. Dann stellt sich der Leser sofort die Frage: Wird es tatsächlich so glimpflich ablaufen? Oder hat der Schurke noch ein Ass im Ärmel? Nachteil der Technik: Hier ist der Schurke am Zug, der Held treibt die Handlung nicht mehr selbst voran.
Halten wir fest: Das Ende jeder Szene muss zum Weiterlesen motivieren.
Scene-Sequel-Struktur: Was ist ein Sequel?
Ein Sequel ist eine Einheit des Übergangs. Es verknüpft zwei Szenen „wie eine Kupplung zwei Eisenbahnwaggons” (Swain).
Anders als Szenen sind Sequels nicht zwingend durch die Einheit von Zeit und Ort geprägt. Es kann sich um einen Zeitraum von Wochen, Monaten, Jahren handeln, der im Zeitraffer erzählt wird.
Was hält das Sequel dann aber im Innersten zusammen? Ein Thema, nämlich die Reaktion des Charakters auf die Frage am Ende der vorhergehenden Szene. „Ich wurde geschlagen und erniedrigt, habe mein Ziel nicht erreicht. Was soll ich jetzt tun?“
Der Charakter – und meistens auch sein Umfeld – beschäftigt sich mit der Frage und entwickelt schließlich eine Antwort. Aus der Antwort erwächst eine Entscheidung.
Das Ziel für die nächste Szene ist gefunden.
Funktionen von Sequels
- Rückschlag in Ziel verwandeln: Sequels bilden eine Brücke, die dem Charakter/Leser einen plausiblen Grund gibt, in eine bestimmte, konfliktträchtige Richtung weiterzugehen.
- Handlung verdichten: Die Entscheidung kann lange dauern, einen Ortswechsel oder Vorbereitungen nötig machen. Um möglichst schnell wieder zu konfliktreichen Stellen zu kommen, braucht es oft eine Zusammenfassung, Abstraktion oder Abkürzung. Das Prinzip „Show, don’t tell“ greift hier nicht. „Es handelt sich um ein Erzählen, nicht ein Zeigen; oder, im besten Fall, um eine Kombination beider.” (Swain)
- Tempo kontrollieren. Zugleich musst Du auf wenig Raum das Gefühl vermitteln, dass Zeit vergangen ist. Statt emotionaler Höhepunkte geht es hier darum, die Geschwindigkeit zu drosseln und den Leser zu Atem kommen zu lassen.
Momente von Sequels
- Reaktion: Am Beginn eines Sequels reagiert der Charakter auf den Rückschlag in der vorigen Szene – zunächst mit purer Emotion: Verzweiflung, Angst, Scham … Schließlich bekommt er seine Gefühle in den Griff.
- Dilemma: Nach dem Sturm der Gefühle wird nachgedacht. In der Mitte muss der Charakter herausfinden, was er als nächstes tun soll. In den meisten Fällen war der Rückschlag so verheerend, dass nur wenige gute Optionen bestehen. Der Charakter muss häufig zwischen Pest und Cholera wählen.
- Entscheidung: Der Charakter trifft seine Entscheidung – damit ist das Ziel der nächsten Szene gesetzt. Manchmal wird die Entscheidung verschwiegen, um die Spannung zu steigern. Der Leser muss dann auf die nächst Szene warten, um herauszufinden, was der Charakter plant.
Merkmale von Sequels
- Einfach: Leser müssen sie sofort verstehen.
- Konkret: Es sollte klar sein, wie das nächste Ziel konkret aussieht.
- Glaubwürdig: Die Entscheidung muss mit den Werten und der aktuellen mentalen Situation des Charakters übereinstimmen.
- Realistisch: Das Ziel könnte tatsächlich im nächsten Kapitel erreicht werden.
- Schwierig: Allerdings ahnt der Leser, dass das schwierig werden wird.
Sequels sind aus drei Gründen wichtig für den Leser: Leser wollen Gründe und Motivation für den nächsten ausbrechenden Konflikt. Für den Charakter muss es sinnvoll sein, nach einem neuen, klar umrissenen Ziel zu streben.
Warum Sequels für den Leser wichtig sind
- Mitleid: Er kann mit dem Charakter mitfühlen und sich um ihn sorgen.
- Einbeziehung: Er überlegt, wie er selbst mit der Situation umgehen würde.
- Konsistenz: Er erkennt, dass der Charakter jetzt nicht passiv bleiben oder aussteigen kann.
Scenes und Sequels nahtlos verknüpfen
Eine proaktive Szene startet mit einem Charakter, der etwas will, dabei Widerstände überwindet und am Ende einen Rückschlag erleidet.
An den Rückschlag schließt sich unmittelbar eine reaktive Szene an, die den Charakter über eine emotionale Reaktion über rationales Abwägen bis zu einer Entscheidung führt.
Die Entscheidung setzt das Ziel für die nächste Szene – der Kreis ist geschlossen.
In der Theorie schreibst Du also von Seite eins bis zum Ende der Geschichte eine nahtlose Kette von Scene-Sequel-Einheiten. Hat der Held sein Ziel erreicht, ist die Story zu Ende.
Tatsächlich aber klappt das nicht immer. Oder es gibt gute Gründe, anders vorzugehen. Und zwar in den folgenden Fällen:
Tempo kontrollieren
Proaktive Szenen sind oft schnell und actiongeladen. Reaktive Szenen sind langsamer, aber tiefer. Zusammen bilden sie eine Reihe von Gipfeln und Tälern, die für Tempowechsel sorgen.
Je nach der Länge Deiner Szenen und Sequels wird Deine Geschichte schneller oder langsamer vorwärtskommen. Ein Thriller von Dan Brown besteht fast nur aus proaktiven Szenen, Reaktionen sind auf ein Minimum begrenzt oder werden ganz ausgelassen.
Aber wenigstens Du als Autor solltest wissen, was in der reaktiven Szene passiert ist, um das Ziel Deines Charakters zu bestimmen.
POV-Charakter wechseln
Wenn es in Deiner Geschichte mehrere POV-Charaktere gibt, die einander abwechseln, kann es sein, dass das Kapitel nach der proaktiven Szene mit der proaktiven Szene eines anderen Charakters beginnt.
Dann kannst du die Reaktion des Charakters in ein späteres Kapitel einflechten.
Plot verrätseln
Vielleicht willst Du die Reaktion der Figur auch vorerst geheim halten, den Charakter sozusagen abtauchen lassen, um Spannung zu erzeugen. Wie wird die Heldin mit dem Schicksalsschlag fertig, wie wird sie reagieren? Elliptische oder fragmentarische Sequels geben hervorragende Cliffhanger ab.
Plateaus etablieren
Sofern Du nicht gerade einen Thriller schreibst, willst Du vielleicht an einer oder einigen wenigen Stellen eine Atempause geben. Ein kleines Arkadien inmitten der Hölle, zum Durchatmen und Genießen. Natürlich sollte möglichst bald wieder etwas schiefgehen, damit die Geschichte wieder in Gang kommt.
Beispiel für die Scene-Sequel-Struktur
Scene
- Ziel: Ein Boxer will den Titel.
- Konflikt: Der Titelkampf.
- Rückschlag: Der Boxer verliert.
Sequel
- Reaktion: Der Boxer ist deprimiert und hat Zukunftsängste.
- Dilemma: Er ringt sich zu einer Entscheidung durch.
- Entscheidung: Der Boxer will einen Rückkampf.
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